Projektbeschreibung

“Als Kunstschaffende und Forschende aus unterschiedlichen künstlerischen Genres erkennen wir den starken Bedarf nach einem Verständnis dafür, wie wir noch mehr zu unserer kreativen Arbeit beitragen und die Grenzen unserer individuellen Disziplinen durch das Erforschen neuer Technologien durchbrechen können, um den sogenannten „State of the Art“ zu finden.“
Markus Wintersberger, Vortrag über Wearable Theatre, c-tv Konferenz FH St. Pölten 2015

Das Kunstforschungsprojekt Wearable Theatre. The Art of Immersive Storytelling (Laufzeit: 01.04.2017 – 31.03.2020) untersucht die Verbindung zwischen 360° Storytelling mit dem Einsatz von wearable Devices in der Medienkunst und VR (Virtual Reality). VR-Storytelling wirkt dabei wie ein Verstärker für Immersion und Empathie. Die Wechselwirkung der emotionalen Realität der Schauspieler mit den (literarischen) Erfahrungswelten sowie die entsprechenden Auswirkungen auf den User werden in experimentellen Settings erforscht, wobei das traditionelle Storytelling in ein immersives VR Erlebnis transformiert wird.

LITERARISCHE GRUNDLAGE

Ziel ist das Erschließen und Nutzen des 360°-VR-Mediums als Erlebnisform für literarische Stoffe. Als Ausgangspunkt der zwölfteiligen Experimente-Serie werden Autoren mit existenziell atmosphärischem Erzählton ausgewählt: Fjodor M. Dostojewski, Albert Camus und Max Frisch. Schlüsselszenen der Romane „Die Dämonen“, „Der Fall“ und „Homo Faber“ in subjektiver Erzählweise dienen als Grundlage für den dramatischen und produktionstechnischen Adaptionsprozess von Figur und szenisch-strukturellem Handlungsverlauf in ein 360°-VR-Script.

  • Homo Faber von Max Frisch erzählt die Geschichte von Walter Faber, dessen rationale Weltanschauung durch einen Zufall zutiefst erschüttert wird. In Griechenland bricht seine Geliebte Sabeth aufgrund eines giftigen Schlangenbisses zusammen. Faber bringt sie in ein Krankenhaus, wo er von seiner früheren Geliebten Hanna erfährt, dass Sabeth ihre gemeinsame Tochter ist.
  • In Die Dämonen von Fyodor Dostojevsky beichtet Stavrogin einem Mönch, dass er die unterworfene und verletzliche 11-Jährige Matiyosha missbraucht hat. Stavrogin wurde tatenloser Zeuge, als sie sich erhängte.
  • Der Fall von Albert Camus behandelt die Themen Unschuld, Gefängnishaft sowie existentielle Krise und Wahrheit. Der Antiheld Jean-Baptiste Clamence schreitet nicht ein, als eine Frau Suizid begeht. Viele Jahre später verwickelt Clamence einen Fremden in eine Diskussion über sein früheres Leben und beginnt zunehmend, dessen Aufmerksamkeit zu manipulieren.

EXPERIMENTELLES SETTING VON 360° STORYTELLING

Das Forschungsprojekt identifiziert und strukturiert ästhetische Variablen und wendet sie in 12 experimentellen Settings (10 Experimente und 2 Showcases) an, wobei jedes einen spezifischen Aspekt des sensorischen Erlebnisses in VR fokussiert. Ziel ist es, die ästhetischen Variablen mit dem Erzählfluss zu verschmelzen um die visuellen, akustischen und atmosphärischen Möglichkeiten von 360°-VR zu nutzen und so ein einzigartiges immersives Kunsterlebnis in VR zu erzeugen.

AUSGANGSPUNKT FÜR DIE PROJEKTZIELE IM ERSTEN JAHR: Die 360° Kamera ist statisch und wird nicht bewegt. Orte und Schauplätze sind statische Bereiche. Es gibt keine Schnitte innerhalb einer Szene.

  • EXPERIMENT 1 – FIGUR UND CHARAKTER IN 360° VR: Die narrativen Möglichkeiten der Protagonisten in VR werden ausgearbeitet.
  • EXPERIMENT 2 – MENTALER ZUSTAND DER FIGUREN UND SZENISCHE SITUATION IN 360° VR: Die Verbindung zwischen dem mentalen Zustand der Protagonisten und der Situation im 360° VR Szenario wird erforscht.
  • EXPERIMENT 3 – 3D SOUNDSCAPES IN 360° VR: Die akustisch-dramatische Wahrnehmung durch den User wird erforscht.
  • EXPERIMENT 4 – KULISSE IN 360° VR: Der Einsatz eines konkreten Raums im Vergleich zu einem Theaterraum oder undefinierten Raum für 360° VR Storytelling wird erforscht.

AUSGANGSPUNKT FÜR DIE PROJEKTZIELE IM ZWEITEN JAHR: Die 360° Kamera ist sowohl statisch als auch bewegt. Umgebungen und Schauplätze sind statische Bereiche und in sich selbst beweglich (z.B. ein Auto). Es gibt keine Schnitte innerhalb einer Szene.

  • EXPERIMENT 5 – ERFORSCHUNG DER BEWEGUNG IN 360° VR: Der Effekt einer statischen 360° Kamera wird erforscht, wenn jene auf einer bewegten Bühne oder in einem anderen mobilen Bereich positioniert ist.
  • EXPERIMENT 6 – 360° KAMERA VERBUNDEN MIT DER BEWEGUNG EINES PROTAGONISTEN: Dieses Experiment untersucht drei unterschiedliche Möglichkeiten für Kamerabewegungen.
  • EXPERIMENT 7 – BENUTZEN VON POINTS OF ATTENTION ZUR ERMÖGLICHUNG VON USER INTERAKTION: Die interaktiven Möglichkeiten zwischen User und dem dramatisierten 360° VR Erlebnis werden erforscht.
  • EXPERIMENT 8 – LICHT UND SCHATTEN IN 360° VR: Experimente mit VR Lichtbedingungen werden durchgeführt.

AUSGANGSPUNKT FÜR DIE PROJEKTZIELE IM DRITTEN JAHR: Ziele sind die Verbindung der existierenden Elemente mit den narrativen Sequenzen, die Steuerung der Erlebnisqualität von Zeit im VR- Storytelling, und die Erforschung von Wahrnehmung und emotionaler Reaktion des Users durch Compositing, Schnitt und Montage wie in den Experimenten erklärt.

  • EXPERIMENT 9 – VISUELLE MONTAGE IN 360° VR: Der Fokus liegt auf der Untersuchung von Compositing, weichen Schnitten und gleichmäßigen Übergängen von zwei oder mehreren VR Situationen.
  • EXPERIMENT 10 – AUFGEBROCHENE REALITÄT IN 360° VR: Das Aufbrechen der Realität und harte Schnitte zwischen zwei VR-Szenarios werden untersucht.
  • SHOWCASE 1 – EXPERTINNENBEIRAT: Die miteinander verbundenen Sequenzen und ausgewählte Experimente werden einem Expertenbeirat präsentiert und in Wirkung und Wechselwirkung kritisch reflektiert.
  • SHOWCASE 2 – ÖFFENTLICHE PRÄSENTATIONEN: Die Ergebnisse werden im Rahmen einer offiziellen Präsentation veröffentlicht.

RELEVANZ DES THEMAS

Die Relevanz unserer Forschung liegt implizit im Bedarf nach der Analyse aktueller Trends im Storytelling mit dem wachsenden Vokabular von VR Medientechnologien. Die Intention der Forschung liegt in der Entwicklung eines Wearable Theatre Prototyps (Ex. 11 – 12), basierend auf einem 360° VR Shooting Script, was wiederum die Entwicklung einer modifizierten und expandierten narrativen Form, künstlerischen Optionen und technologischen Möglichkeiten erfordert.

FORSCHUNGSFRAGEN

  • Wie kann literarisches Material, speziell Romane in Ich-Form, in VR Räume transferiert werden, und welche Ableitungen können aus dem dramatischen Feedback bezüglich VR Storytelling allgemein generiert werden?
  • Wie kann der Prototyp eines 360° VR Shooting Scripts aussehen, und in welchem Ausmaß müssen die Points of Orientation und Points of Attention im Vorfeld durchdacht und mit den dramatischen Events des Autors verknüpft werden, um eine verständliche Produktion zu ermöglichen?
  • Welche ästhetischen Variablen von 360° VR-Storytelling gibt es und wie können diese von Regisseuren, Darstellern, Setdesignern und Medienkünstlern benutzt werden um die Geschichte zu transportieren?
  • Wie müssen die Points of Orientation und Points of Attention organisiert werden, um eine flüssiges, rhythmisches und störungsfreies narratives Erlebnis zu gestalten?
  • Welche technischen Einschränkungen sind bei 360° VR Produktionen vorgegeben und wie muss das Zusammenspiel von Kameramann, Regisseur und Darsteller im 360° VR Shooting Script organisiert werden?

METHODEN

Jede ausgewählte literarische Sequenz wird entsprechend ihres Konfliktpotentials und der möglichen konkreten Erzählperspektiven aufgeschlüsselt. Das Ziel des so entstehenden Text Templates (360° Script) ist es, dem User Orientierung im 360° VR Raum zu ermöglichen und ihn in den Erfahrungsraum und die Erfahrungsdichte dieser Erzählwelten einzuladen. Dazu werden technische Lösungen für die Produktion des 360° VR Shooting Scripts entwickelt. Am Ende jeden Jahres wird von einem Expertenbeirat der emotionale Transfer der experimentellen Sequenzen in einen 360° Raum bewertet.

„Von literarischem und medienkünstlerischem Gesichtspunkt aus betrachtet, sollen die gewonnenen Informationen neue Perspektiven und Erzählmuster von VR-Dramaturgien erschließen und somit Anstoß einer eigenständigen künstlerischen Ausdrucks-, Wahrnehmungs- und Erlebnisform werden – der Erlebnisform eines Wearable Theatre.“
Markus Wintersberger


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